Atompolitik

  • Nukleartechnologie: von der Euphorie zur Ernüchterung.
  • Jahrzehntelanges Tauziehen um den Atomausstieg
  • Ungelöste Probleme: Altreaktoren und Atommüll

Von der Euphorie zur Ernüchterung: Die Nukleartechnologie zog in der Nachkriegszeit Staat, Militär und Forschung in ihren Bann. Man setzte grosse Hoffnungen in die neue Technologie und förderte deren Entwicklung grosszügig. In der Schweiz wurden von elf geplanten Reaktoren fünf gebaut. Restrisiko, Strahlen-Gefahren, die Endlichkeit des Rohstoffs Uran, Atomwaffen und die teuren Folgen der Stilllegung der alten AKW wie auch die Lagerung der strahlenden Abfälle – das alles blieb zunächst eine unwichtige Nebensache. Ein wachsendes Umweltbewusstsein in den 1970er-Jahren und die ersten Atomunfälle in Three-Mile-Island sowie die partielle Kernschmelze im Schweizer Versuchsreaktor Lucens sorgten dafür, dass die Schattenseiten der Atomtechnologie zutage traten. In der Schweiz schlossen sich immer mehr Menschen der Anti-Atombewegung an. Massendemonstrationen, die Besetzung des Geländes des geplanten AKW Kaiseraugst und schliesslich der Reaktorbrand in Tschernobyl 1986 verhinderten den Bau des sechsten Schweizer AKW.

In den letzten Jahrzehnten konnte die Stimmbevölkerung über zahlreiche Atomausstiegsinitiativen an der Urne befinden. Die erste  scheiterte 1979 mit nur 51% Nein-Stimmen äusserst knapp. 1990 sorgte ein Abstimmungserfolg schliesslich für ein 10-jähriges Moratorium, während dessen kein neues AKW gebaut werden durfte. Der öffentliche Druck bewog Bundesrat und Parlament in mehreren Revisionen die Kernenergiegesetzgebung über die Jahre zu verschärfen. Drei in den Nuller-Jahren eingereichte Rahmenbewilligungsgesuche für neue AKW wurden schliesslich 2011 nach der Katastrophe von Fukushima sistiert, als der Bundesrat den Atomausstieg beschloss. 

Aktuell

Die vom Stimmvolk 2017 befürwortete Energiestrategie 2050 schafft den gesetzlichen Rahmen für die Energiewende. Trotz des darin enthaltenen Beschlusses, in der Schweiz kein neues AKW mehr zu bauen, bleibt unklar, wann die alten Schweizer Reaktoren (Baujahr 1969, 71, 72, 79, 84) vom Netz gehen. Nur die BKW hat bisher die Ausserbetriebnahme des zweitältesten Schweizer AKW festgelegt. Am 20. Dezember 2019 wird Mühleberg als erstes AKW den Leistungsbetrieb endgültig einstellen. Die anderen können so lange betrieben werden, wie sie von der Aufsichtsbehörde ENSI als sicher eingestuft werden. Die Volksinitiative für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie, die ein gestaffeltes Abschalten nach jeweils 45 Jahren Laufzeit einführen wollte, scheiterte 2016 mit 45.8 % Ja-Stimmen an der Urne. Somit fehlt in der Energiepolitik nach wie vor ein fixes Ausstiegsdatum und eine Strategie wie mit den alternden und teilweise von Sicherheitsproblemen betroffenen Reaktoren weiterverfahren werden soll. Auch das Atommüllproblem bleibt nach jahrzehntelanger Forschung ungelöst.

Energie-Geschichte: Bewegtes Atomzeitalter – Von der Euphorie zur Ernüchterung

SOA-Plakat 1990

Wie kein anderes Thema polarisiert die Atomkraft die Energiedebatte hierzulande. Zahlreiche Volksabstimmungen zeugen von der intensiven Auseinandersetzung. Der Blick zurück zeigt, wie die anfängliche Euphorie kippte und der öffentliche Druck den Staat zwang, seine Haltung in der Atomfrage zu ändern.

» E&U-Artikel von Wirtschaftshistorikerin Tina Berg

Meilensteine der Energiepolitik

1902: Elektrizitätsgesetz: Bundesgesetz betreffend die Stark- und Schwachstromanlagen

1908: Bundesbeschluss betreffend die Gesetzgebung des Bundes über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte und über die Fortleitung und die Abgabe der elektrischen Energie

1916: Wasserrechtsgesetz: Bundesgesetz über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte

1957: Bundesbeschluss über die Ergänzung der Bundesverfassung mit einem Artikel betreffend die Atomenergie und den Strahlenschutz

1959: Atomgesetz: Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie

1963: Rohrleitungsgesetz: Bundesgesetz über Rohrleitungsanlagen zur Beförderung flüssiger oder gasförmiger Brenn- oder Treibstoffe

1978: Bundesbeschluss zum Atomgesetz: führt die Rahmenbewilligung als Voraussetzung für den Bau einer Kernanlage ein

1983: Kernenergiehaftpflichtgesetz: regelt die Haftung für Nuklearschäden, die durch Kernanlagen oder durch den Transport von Kernmaterialien verursacht werden, sowie deren Deckung

1990: Bundesbeschluss über den Energieartikel in der Bundesverfassung

1990: Ja zur Volksinitiative ‚Stopp dem Atomkraftwerkbau (Moratorium)’

1991: Strahlenschutzgesetz: bezweckt, Mensch und Umwelt vor Gefährdungen durch ionisierende Strahlen zu schützen

1998: Energiegesetz: sieht unter anderem die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien vor

1999: CO2-Gesetz: Bundesgesetz über die Reduktion der CO2-Emissionen

2003: Kernenergiegesetz: regelt umfassend die friedliche Nutzung der Kernenergie und ersetzt Atomgesetz und Bundesbeschluss

2007: Stromversorgungsgesetz: regelt die Marktöffnung in zwei Schritten

2008: Revision CO2-Gesetz: regelt Lenkungsabgabe auf Brennstoffe

2017: Revision Energiegesetz (Energiestrategie 2050, 1. Massnahmenpaket)